Moin, zwei Kielä, bidde

kieler 6Fasziniert beobachtete ich, wie der Mann vor mir seine Brötchen bestellte. Die Verkäuferin griff zu länglichen Brötchen mit zerfurchter Oberseite, packte sie in eine Tüte und nach einem schweigenden Geldwechsel war ich an der Reihe. Neugierig bestellte ich das gleiche. Zu Hause untersuchte ich die unbekannten Brötchen akribisch. Ihre Oberfläche war rauh und leicht fettig. Innen waren sie wattig und saftig. Ich probierte und war ihnen bereits nach dem ersten Bissen verfallen. Außen knusprig und salzig, innen weich und etwas süß, was für Schätzchen! Bis ich mich an die rauhen, wortkargen, manchmal sogar schroff wirkenden Einwohner der nicht besonders hübschen Stadt am Meer gewöhnt hatte, sollte es wesentlich länger dauern. Aber mit den Semmeln hatten sie mich sofort. Inzwischen denke ich manchmal wehmütig an die Kieler Jahre zurück. Als ich kürzlich mit Herrn H. in der Vergangenheit schwelgte, meinte er, es sei doch ein Leichtes, Abhilfe zu schaffen. Er hätte ein Kieler Semmel-Rezept gesehen. Nach einem kurzen „Umbau“ konnte ich loslegen.

Für die Kieler Semmeln (10 Stück):

Vorteig (Poolisch):

  • 150 g Weizenmehl 812er
  • 150 g Wasser
  • 0,1 g Hefe (reiskorngroß)

Hauptteig:

  • 350 g Weizenmehl 550er
  • 125 g Wasser
  • 25 g Rohrzucker
  • 9 g Hefe
  • 10 g Salz
  • 25 g Butter

teigling serieDie Zutaten für den Vorteig rührte ich am Vorabend des Backtags zusammen und ließ sie ca. 14 Stunden bei knapp 20° gehen. Am nächsten Morgen gab ich alle Zutaten (inklusive Vorteig) bis auf die Butter in die Rührschüssel der Maschine und ließ sie 8 Minuten auf langsamster Stufe kneten. Dann fügte ich die Butter hinzu und ließ sie 6 Minuten auf nächstschnellerer Stufe unterkneten. Der Teig ist recht fest und löst sich vollständig vom Schüsselboden. Abgedeckt durfte er nun eine gute Stunde gehen. Nun vermischte ich Schweineschmalz und Butter zu gleichen Teilen (je 50 g), mengte etwas Fleur de Sel darunter und strich es auf den Tisch. Ich teilte den Teig in 10 ca. 85 g schwere Teiglinge, schliff sie rund und probierte, den ersten im Fett „aufzuscheuern“.

scheuerschmalz serieIch rieb ihn, leicht drückend kreisförmig über das Fett und sah ihn mir an. Hm, das Fett sollte deutlich in die Oberfläche eindringen und sie so aufreißen. Bei den ersten Versuchen war ich noch zu zaghaft gewesen. Nach dem fünften Semmel rieb ich beherzter. Anschließend zog ich die Teiglinge leicht in die Länge und legte sie auf das Backblech (Backpapier), das ich in eine Tüte hüllte. Nach einer weiteren Stunde Stückgare waren sie Semmeln prächtig aufgegangen.

teigling serie2Ich buk sie mit Schwaden ca 20 Minuten bei 220°C. Ein wirklich köstlicher Geruch verbreitete sich von der Küche aus in der ganzen Wohnung. Als ich das Blech zum Abkühlen in den Flur stellte, kam Herr H. neugierig schnüffelnd hinzu. Wow, die sehen ja super aus, rief er. Können wir gleich einen probieren? Ich sagte, dass wir das gern tun könnten, aber erst nach den Fotos. So schnell habe ich ihn selten arbeiten sehen.

kieler 1Fazit: Die Kruste der Kieler war genau so wie ich sie in Erinnerung hatte. Leicht fettig, salzig, rauh und knusprig. Sie schmeckten uns sowohl mit Marmelade, als auch mit Käse. Als ich vorsichtig anmerkte, dass die damals gekauften (Bäckerei Lyck, leider gibt es keine Homepage) deutlich wattiger im Inneren gewesen seien, winkte Herr H. nur ab. Wer wisse schon, was sich alles darin befunden hätte. Ihm schmeckten die Kieler sogar glatt besser als damals. Ich nahm das Kompliment widerstrebend an und werde beim nächsten Mal versuchen, die Oberfläche noch etwas kräftiger aufzuscheuern, damit sie beim Backen noch mehr aufreißt. Insgesamt war ich jedoch mit dem ersten Backversuch durchaus zufrieden. Weitere Kieler Semmel-Rezepte gibt es übrigens im Plötzblog und bei Küchenlatein, was ich aber erst nach dem Backen herausfand. Das Rezept, dass ich als Grundlage benutzte stammt vom Passader Backhaus und befindet sich in folgendem Buch.

Deutschlands beste Bäcker präsentiert von Johann Lafer

 

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Gastbeitrag: Vitamine unerwünscht!

grünkohl 4Es gibt eine Zeit im Jahr, in der überfällt den gemeinen Nordfriesen ein übermächtiges Verlangen nach Grünkohl. In der Regel beschränkt sich dieser Zeitraum allerdings nur auf Monate mit einem „r“ im Monatsnamen. Schon seit langem lag ich Eva in den Ohren, sie möge doch bitte Abhilfe schaffen, der Mai sei noch so lange hin. Und tatsächlich vernahm ich letzte Woche das „Sesam öffne dich!“, all meiner Portemonnaies, Sparschweine und Bankkonten: „Schatz, heute abend gibt es Grünkohl!“ Was hatte Sie vor? Ein neuer Herd, ein neues Fahrrad oder gar ein Zelt? Nein, keine Hintergedanken. „Ich will Dir nur eine Freude machen, dafür schreibst Du den Post.“ Sei’s drum. Eva präsentierte diverse Rezepte aus unserem temporären Kochbuchfundus. Da war zwar Grünkohl drin, aber sie hatten mit norddeutschem Grünkohl so rein gar nichts zu tun und ich winkte ab. Ich wollte den besten Grünkohl und den gab es anno 1980 traditionell direktemang nach dem Biikebrennen bei Gerda W. (tut mir leid, Mutti). Ein Anruf genügte und ich erhielt strompostwendend das Originalrezept.

Für 2 Nordfriesen auf Grünkohlentzug oder 4 Personen:

Fleischbrühe:

  • 500 g Schinkenräucherschwarten, ca. 2 Std. in wenig Wasser ausgekocht (ich: 2 Kassler Nackenkoteletts, ca. 400 g))
  • (ich: 1 halbe Zwiebel mit Schale)
  • (ich: einige Körner Piment und Pfeffer, 1 Lorbeerblatt, etwas Meersalz)

brühe serieDa Eva sich ausnahmsweise relativ spontan entschlossen hatte, ließ sich keine Schinkenräucherschwarte mehr auftreiben, aber ich hatte letztens noch zwei schöne Stücken Kasslernacken im TK gesichtet. Nach dem Auftauen gab Eva sie mit Zwiebel und Gewürzen in einen Topf, bedeckte sie knapp mit Wasser und köchelte sie sanft für rund eine halbe Stunde. Sie nahm sie die Koteletts heraus, legte sie beiseite und siebte die Garflüssigkeit ab. Der Geruch kam mir doch schon recht bekannt vor.

Für den Grünkohl:

  • 750 g Grünkohl, nach dem Putzen gewogen (Frau W. empfahl eine große Dose vorgekochten Grünkohl von Lüders)
  • 2 EL Schweineschmalz
  • 1 große Zwiebel, grob gehackt
  • 1 EL Zucker
  • Fleischbrühe
  • Kassler
  • 150 g Kohlwürste
  • 2 EL scharfer Senf
  • schwarzer Pfeffer, Salz
  • evtl. Kartoffelpüreeflocken zum Andicken

grünkohl serieIch erhitzte das Schweineschmalz in unserem größten Topf, briet die Zwiebelwürfel darin glasig, streute den Zucker darüber und stopfte nach und nach den ganzen Grünkohl dazu, den ich zuvor auf mühevolle Weise gewaschen hatte. Der auf dem Markt gekaufte Kohl war zum Glück schon recht sauber. Ich gab die Brühe hinzu, wartete, bis der Grünkohl einigermaßen zusammengefallen war und ließ ihn abgedeckt eine gute Stunde kochen. Es dauerte nicht lang und ein feiner Kohlduft durchdrang die Wohnung, Eva rümpfte die Nase und reinigte durch gelegentliches Stoßlüften die Luft. Sie ist gebürtige Niedersächsin und ihr Verhältnis zum Grünkohl weniger stark ausgeprägt. Das wundert mich nicht, ich sage nur Bregenwurst und Pinkel. Eine Stunde des Köchelns war um, mir lief schon das Wasser im Mund zusammen, dann gab ich die Kohlwürste in den Topf. Eva hatte zwar Recht, dass mit dem Kassler eigentlich schon genug Fleisch in dem Gericht sei, aber Grünkohl ohne Kohlwurst geht einfach gar nicht. Sie lenkte ein, bestand aber darauf, den Grünkohl nicht auf traditionelle Weise mit Püreeflocken zu binden. Ich vertraute auf ihre Kochkunst. Sie entnahm am Ende der Garzeit ca. 2 große Kellen Grünkohl, gab Senf und ca. 1 EL Stärke hinzu, pürierte alles fein und gab es zurück in den Topf. Der Grünkohl hatte nach weiterem kurzen Köcheln eine perfekte Konsistenz, nämlich gar keine. Ein schöner, glänzender, bundeswehrparkagrüner Brei, mausetot. Ich schmeckte mit Salz, Pfeffer und Senf ab und kümmerte mich um die Kartoffeln.

Für die karamellisierten Kartoffeln:

  • ca. 300 g kleine Kartoffeln (wir hatten leider nur größere)
  • 1 – 2 EL Butterschmalz
  • 2 EL Zucker
  • Salz

kartoffel serie

Ich wusch die Kartoffeln und garte sie gute 25 Minuten als Pellkartoffeln in ausreichend Wasser. Vor dem Pellen ließ ich sie erstmal eine ganze Weile abkühlen, dann lassen sie sich leichter schälen. Diese dann in Butterschmalz rundum knusprig braun braten, das geht mit kleinen runden Kartoffeln wunderbar. Die Kartoffeln ganz leicht salzen und dann den Zucker darüber streuen und schön karamelisieren lassen. Natürlich gehen auch normale Bratkartoffeln, besser noch beide Sorten falls man mal Gäste hat.

Absolutes No-Go sind Salzkartoffeln oder gar Reis, wenn schon fett, dennschon. Das wäre wie Hermé mit Diätsprühsahne, Finger weg!

grünkohl 1Fazit:

Nachdem ich meine zweite Portion des köstlichen Grünkohls verdrückt hatte, musste selbst ich die Segel streichen. Genüsslich lehnte ich mich zurück, um dem Aquavit ein bischen Platz zu schaffen und überlegte. Ja, so muss Grünkohl sein, glänzen muss er und kein Vitaminchen darf überleben. Auch Eva war scheinbar recht zufrieden mit dem Ergebnis. „Schmeckt besser als sonst“, war ihr Resumé. Tatsächlich schmeckte mir der Grünkohl sogar noch besser, als ich ihn in Erinnerung hatte, und ich bin sicher, dass lag an der Extraportion Liebe, die in das Gericht auf magische Weise hineinwanderte.

Rezept: Leicht abgewandelt nach Gerda W.