Wie viele andere auch, ergreift Herrn H. und mich am Ende des Jahres ein gewisser Aufräumzwang. Angefangene Projekte sollten möglichst abgeschlossen werden, Herumliegendes einsortiert und in den Ecken, die man ansonsten im Winter geflissentlich ignoriert, Staub gewischt. Genau dabei entdeckte Herr H. zwei kleine Weckgläser. Er stürmte damit in mein Zimmer, wo ich gerade herumfliegende Papiere sortierte und abheftete und hielt sie mir entgegen. Ob die Möhren noch gut seien, wollte er wissen. Ich lotste ihn in die Küche, öffnete ein Glas und gabelte einige Scheibchen auf. Definitiv, befand ich nach dem Kosten. Wieso er das wissen wolle. Nun, wir hätten sie doch bereits Mitte November eingelegt und nun müssten wir sie endlich verwenden. Ich seufzte innerlich tief, wir hatten uns für den Abend schon ein aufwendige Kocherei vorgenommen, und willigte ein.
Für die Möhren-Pickles (sollten mindestens eine Woche durchziehen):
- 125 g Apfelessig
- 87,5 g Wasser
- 50 g Zucker
- 6 g Salz
- 1/2 TL Koriandersamen
- 3 1/2 Sternanis
- 1/4 TL Ingwer, gehackt
- etwas Zitronenabrieb
- 1/4 TL weiße Pfefferkörner
- 1 Pr. Kurkuma
- 250 g Möhren, in feine Scheiben geschnitten (wer will, kann sie auch vorher schälen)
Ich vermengte alle Zutaten bis auf die Möhren in einem Topf, kochte sie kurz auf, bis der Zucker sich gelöst hatte und ließ den Sud eine Stunde lang ziehen. Herr H. schnitt die Möhren in feine Scheiben und verteilte sie auf zwei mit heißem Wasser ausgespülte Weckgläser (220 ml). Ich gab den Sud durch ein Sieb, kochte ihn nochmals auf und goss ihn kochend heiß in die mit Möhrenscheiben befüllten Gläser. Im Buch gibt es zwar keine Angabe dazu, wie lange die Möhren ziehen sollen, aber ich denke, dass es nicht schadet, sie einen Monat vor der Verwendung stehen zu lassen.
Für das Orangenblüten-Dashi:
- 150 g Möhren, fein geraffelt
- 2,5 g Ingwer, geschält, fein gerieben
- 1 Schalotte, grob gehackt
- 1 Stange Zitronengras, unteres Drittel gehackt
- 1 EL Erdnussöl
- 500 g Möhrensaft
- 1 TL Bonitoflocken
- 1 Stückchen Kombu (ca. 5 x 5cm)
- 25 g (japanische) Sojasauce
- 1,5 EL Orangenblütenwasser
- Salz
Ich schwitze Schalotten und Zitronengras im Erdnussöl glasig, gab Möhren und Ingwer hinzu und löschte mit dem Möhrensaft ab. Nach dem Aufkochen ließ ich alles 15 Minuten köcheln. Herr H. ereiferte sich inzwischen darüber, dass es schon seltsam sei, dass wir für ein solches Gericht nichts extra einzukaufen bräuchten. Ich zuckte bloß die Schultern und bat ihn, die Jakobsmuscheln abzutupfen. Dann gab ich die restlichen Zutaten zum Dashi, zog den Topf vom Herd und ließ alles 5 Minuten ziehen. Zuletzt gab ich das Dashi durch ein feines Sieb, schmeckte es mit wenig Salz ab und stellte es warm.
Für das Möhren-Sauerkraut:
- 150 g Möhren, in feine Streifen geschnitten (am besten mit dem Spiralschneider)
- 100 g Gemüsefond
- 2 Kardamomkapseln
- 1 kleines Lorbeerblatt
- 2 Pfefferkörner
- 1 Zitrone, Saft und Schale
- 1 Pr. Zucker
- 10 g Butter
- Salz
- 40 g Reisnudeln (am besten sehr dünne, ich hatte nur mittelbreite), nach Packungsanleitung gegart
- Jakobsmuscheln nach Belieben
- geröstete Sonnenblumenkerne nach Belieben
Ich gab alle Zutaten bis auf die Reisnudeln in einen Topf und ließ sie 8 Minuten köcheln. Herr H. kochte inzwischen die 10 Minuten in kaltem Wasser eingeweichten Reisnudeln knapp gar. Ich fischte die ganzen Gewürze aus den Möhrenstreifen, vermengte sie mit den abgetropfeten Reisnudeln und verteilte alles auf zwei vorgewärmte Schalen. Herr H. briet die Jakobsmuscheln beidseitig kurz an, bestreute sie mit Orangenpulver und setzte sie in die Schalen. Ich goss Orangenblüten-Dashi an und garnierte die Schalen mit Möhren-Pickles und gerösteten Sonnenblumenkernen. Nach einigen Bilder konnten wir endlich kosten.
Fazit: Meine Erwartung an diese Vorspeise war eher niedrig, da ich Möhrensaft, im Gegensatz zur ganzen Wurzel, recht wenig abgewinnen kann. Ich kostete also einen Löffel des Dashis und war absolut verblüfft von der unglaublich köstlichen Geschmackskombination. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich Stein und Bein geschworen, dass Miso im Spiel gewesen sei. Herr H. seufzte und löffelte recht schweigsam. Ein gutes Zeichen. Das Möhren-Sauerkraut, die Reisnudeln, die gerösteten Sonnenblumenkerne, alles fügte sich wirklich sagenhaft und bildete gemeinsam das viel zitierte große Ganze, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Die Jakobsmuscheln waren natürlich auch wunderbar, aber für mich hätte es die auch nicht unbedingt gebraucht. Nachdem die Schalen geleert waren bedankte ich mich bei Herrn H., dass er auf die Umsetzung dieses Knaller insistiert hatte. Aber er winkte bloß lächelnd ab und bedauerte, dass es keinen Nachschlag gab.
Aus: Gewürze Tanja Grandits